Dienstag, 8. Oktober 2013

Rückschau: Lesung am 27. September:

IRENA BREŽNÁ
DIE UNDANKBARE FREMDE

„Wir ließen unser kleines Land im vertrauten Dunkel zurück und näherten uns der leuchtenden Fremde“.
1968 beginnt Irena Brežnás schmaler aber hochkonzentrierter Roman, der auf engstem Raum Verletzung und Befreiung, Aufbegehren und wildes Um-Sich-Schlagen, Poesie und Versöhnung vorführt, dazu eine ganze Galerie hochdramatischer Lebensläufe und Charaktere. Dies alles in einer Sprache, in deren Poesie sich harte Fakten knirschend einschieben wie Eisenstangen in ein Getriebe.
Die Erzählerin verschlägt es in ein reiches Land, das ihr vorkommt wie ein sicherer Hafen von bizarrer Saturiertheit, Sauberkeit und Ordnung, ein von Zäunen verstelltes Paradies voller Ordnungshüter und Kehrmaschinen – zu viel Starre für ein heranwachsendes Mädchen. Schon bei der Einreise wird ihr Name vom Grenzbeamten verstümmelt, er passt nicht recht ins Schweizer System. Ein halbes Leben segelt sie gezwungenermaßen unter falscher Flagge und vermisst im kalten, gleißenden Licht der Fremde die unfreie, schmuddelige Geborgenheit der Heimat.
Dankbarkeit wird erwartet dafür, dass sie aufgenommen wurde, aber niemand kommt auf die Idee, sich dafür zu bedanken, dass sie kam. Als Heranwachsende rebelliert sie nicht nur gegen ihre Eltern, sondern vor allem gegen das fremde Gastland, das eine kleine Einheimische aus ihr machen will und sie nicht sie selbst sein lässt, sie einengt, einschränkt und kupiert. Erst ganz am Ende gelingt die Versöhnung.
Wie Mini-Romane, Kondensate paradoxen Lebens, sind Szenen durch das gesamte Buch gestreut, in denen die Erzählerin, nun bereits eingebürgert und mit ihrem Schicksal halbwegs versöhnt, als Dolmetscherin zwischen Emigranten und heimischen Behörden fungiert. Sie trifft auf eine Galerie extremer Lebensgeschichten und eine Phalanx von gestrandeten, die irgendwie versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen: Gauner, Selbstmörder, Depressive, Schlawiner, Kriegsflüchtlinge, Überanpasser, Idealisten und Naive.

»Es ist die brillant geschriebene Geschichte einer Identitätsfindung zwischen Anpassung und Widerstand. So schonungslos, wütend und erkenntnisreich hat noch nie eine hiesige Migrantin über ihr Dasein in der Fremde geschrieben.« Peer Teuwsen, DIE ZEIT, Schweiz

»Die bissigste der widerspenstigen Schweizer Integrationsgeschichten.« Berliner Zeitung


© Marian Strauch

Irena Brežná, geboren 1950 in der Tschechoslowakei, emigrierte 1968 in die Schweiz. Journalistin, Schriftstellerin, Slawistin, Psychologin, Menschenrechtlerin. Nach Schuppenhaut 2008 und dem autobiographisch gefärbten Roman Die beste aller Welten 2010 ist Die undankbare Fremde ihr dritter Roman. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den EMMA-Journalistinnenpreis und den Theodor-Wolff-Preis für ihre Kriegsreportagen aus Tschetschenien. Für Die undankbare Fremde, erschienen bei Galiani, wurde Irena Brežná 2012 mit dem Eidgenössischen Literaturpreis ausgezeichnet.

IRENA BREŽNÁ
DIE UNDANKBARE FREMDE
am Freitag, 27. September 2013
ab 21.00 Uhr
im ORi
Friedelstraße 8
U-Bahnhof Hermannplatz

Mit Unterstützung von Pro Helvetia
Schweizer Kulturstiftung


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